flag_europe_weapons_ENG_EnaatDie Gründungsväter und -mütter der EU hatten das Ideal eines "Europas des Friedens, der Einheit und des Wohlstands". Deshalb wurde in jedem ihrer Verträge als Hauptziel der EU die Bewahrung, Stärkung und Förderung des Friedens festgeschrieben. 60 Jahre später scheinen die Lehren aus dem 2. Weltkrieg vergessen worden zu sein: in den vergangenen Jahrzehnten wurde die rote Linie vorsichtig überschritten, die die EU davon abhalten sollte, in Militär bezogenen Bereichen zu agieren. Der EU-Haushalt wird zunehmend genutzt, um Aktivitäten zu finanzieren, die Waffenhandel und -exporte fördern - dank einer zwar diskreten, aber umso mächtigen Lobbyarbeit der Waffen- und Sicherheitsindustrie.

Da die Europäische Gemeinschaft in Militärfragen keine eigene Kompetenzen hat, wurde diese Frage über die Thematik des internen Marktes, der Förderung von Arbeitsplätzen und Wachstum in den EU-Diskurs eingebracht. Als Ergebnis verschiedener Initiativen steht die aktuelle Gesetzgebung und Kontrolle von Rüstungsexporten in Frage und der EU-Haushalt wird auf andere Prioritäten umgestellt, z.B. zur Finanzierung von Rüstungsforschung.

Der Gemeinsame Standpunkt der EU-Kommission zur Kontrolle von Rüstungsexporten

Die Kontrolle von Rüstungsexporten fällt weiterhin in die Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten. Auf EU-Ebene haben diese sich 2008 in einem "Gemeinsamen Standpunkt" "auf die Definition gemeinsamer Regelungen über die Gesetzgebung zu Exporten von Militärtechnologien und Gütern geeignet." Dabei werden acht ethische Kriterien festgelegt, nach der die Vergabe von Lizenzen für den Waffenexport beurteilt werden soll. Diese beinhalten u.a. die Menschenrechtssituation im Empfängerland wie auch deren Teilnahme an bewaffneten Konflikten oder auch deren wirtschaftliche Lage.

Dieser "Gemeinsame Standpunkt" ist offiziell verbindlich, in der Praxis gibt es jedoch weder eine Übersicht der nationalen Gesetzgebung noch Sanktionen bei Verstößen gegen die Kriterien. Tatsächlich lässt der Gemeinsame Standpunkt viel politischen Interpretationsspielraum. Das Ergebnis dieser Unverbindlichkeit ist, dass jeder Staat die acht Kriterien willkürlich anwendet, je nach den jeweiligen wirtschaftlichen, politischen oder strategischen Interessen. ENAAT möchte eine strenge und verbindliche Interpretation dieser "Gemeinsame Standpunkt zu Rüstungsexporten" der EU.

Der jährliche EU-Bericht zu Rüstungsexportkontrollen

Photo Peace machine_credit
Als eine Maßnahme zur Transparenz und Vertrauensbildung soll jeder EU-Mitgliedsstaat seine Zahlen für den jährlichen EU-Bericht zu Rüstungsexportkontrollen liefern.

Nach der Analyse dieser Berichte kommt ENAAT zu dem Schluss, dass der Überblick über die diesbezüglichen Zahlen zu spät und unvollständig ist und zudem einige Fragen hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit der Daten wie auch dem Engagement der EU, für eine effiziente Kontrolle von Rüstungsexporten zu sorgen, offen lässt. Dennoch sind diese jährlichen Berichte eine der wenigen überhaupt zugänglichen Quellen, aus denen sich der Umfang des europäischen Waffenhandels analysieren lässt. Deshalb hat ENAAT und die britische Kampagne gegen Waffenhandel (CAAT) eine einfache Applikation entwickelt, um sich einen Weg durch dieses Übermaß an Informationen bahnen zu können. [Siehe Data Browser]

Das Europäische Parlament verabschiedete 2015 einen Evaluationsbericht über die Umsetzung der "Gemeinsamen Position". Das sollte sie regelmäßig fortführen.

Liberalisierung des internen Marktes für Waffen und Militärausrüstung

2007 wurden zwei EU-Direktiven verabschiedet, die den Verkauf von Waffen und Militärausrüstung innerhalb der EU dadurch erleichtern sollte, dass sie den privilegierte Beziehung zwischen den nationalen Unternehmen und ihren Regierungen entgegen gewirkt ("Auftragsvergabe-Richtlinie") und die Vergabe von Lizenzen für Waffentransfers vereinfacht und harmonisiert (sog. "Transfer-Richtlinie, die den Waffenhandel innerhalb der EU regelt, und zwar anders als die Waffenexporte außerhalb der EU).
Allerdings hat dieser Liberalisierungsprozess des internen Marktes für "Verteidigungs"produkte eine negative Wirkung auf die nationalen Gesetze zur Rüstungsexportkontrolle, während der erwartete "Fortschritt" hin zu mehr Transparenz und einem wirklichen Wettbewerb auf dem europäischen Waffenmarkt den eigenen Erwartungen der EU-Kommission nicht gerecht wurde (so heißt es im Evaluationsbericht der EU-Kommission).
Darüber hinaus macht die Rüstungsindustrie nun Lobbyarbeit für eine zweite Phase der Deregulierung, nämlich in Bezug auf die derzeit vorhandene Möglichkeit, den Re-Export von Gütern zu begrenzen. Dieses würde - so die Rüstungslobby - den Wettbewerb mit US-Konzernen, aber auch den aufstrebenden Industrien Chinas, Indiens und Brasiliens beeinträchtigen. ENAAT wird sorgfältig jede Änderung auf diesem Gebiet überwachen.

Die Kampagne des ENAAT gegen eine Militarisierung des EU-Haushalts

logo campaign3red

Über dual-use und Rüstungsforschung
Da Artikel 42 des EU-Vertrags die direkte Finanzierung von Militäroperationen und damit zusammenhängenden Aktivitäten verbietet, konzentrierte sich die Lobbyarbeit der Waffenindustrie zunächst auf die dual-use-Güter, die es ermöglichte, dass EU-Gelder für die zivile Anwendung der Forschung von dual-use-Gütern verwendet werden durften. 2007 wurde dann im zentralen EU-Forschungsprogramm "Horizont 2020" der Bereich Sicherheit als mögliches Forschungsgebiet aufgeführt. In der Praxis sind viele Unternehmen der Sicherheitsbranche auch im Militärsektor tätig, so dass diesen nun der Zugang zu den EU-Töpfen eröffnet wurde. Das galt selbst für Unternehmen aus sog. "Partnerländern", etwa aus Israel.

Im Dezember 2013 beantragte und verabschiedete das Europaparlament ein Pilotprojekt in Höhe von 1,5 Millionen Euro, um direkt in die Finanzierung von Militärforschung aus dem EU-Haushalt einsteigen zu können. Diesem Vorgang folgte im Dezember 2016 eine sog. "Vorbereitungsaktion", die dieses Mal von der EU-Kommission initiiert und von den Mitgliedstaaten und dem Europaparlament verabschiedet wurde. Dabei handelt es sich um 90 Millionen Euro, die für Militärforschungsprojekte in den Jahren 2017-2019 vorgesehen sind. Pilotprojekte und Vorbereitungsaktionen haben einen speziellen Status, was dazu führt, dass neue Arbeitsbereiche finanziert werden können, selbst wenn diese durch den EU-Vertrag nicht ausdrücklich erlaubt sind. Dies ist der erste Schritt zu einem vollständig ausgearbeiteten Europäischen Verteidigungsforschungsprogramm in Höhe von 3,5 Milliarden Euro für die Zeit 2021-2027. (Dieses benötigt freilich eine klare legale Grundlage, die noch nicht vorhanden ist).

IndustryIjnterests_erik-dries-with-credit…zu einem Paradigmenwechsel
Der Europäische Verteidigungs-Aktionsplan, den die EU-Kommission am 30. November 2016 vorstellte, sieht u.a. auch eine Liste von Forderungen vor, wie der Militärsektor Einzug halten kann in die EU-Politik und ihre Haushaltsmittel (vom Forschungsprogramm zu den Regional- und Strukturfonds, den Mitteln der Europäischen Investitionsbank, ja sogar bis zu Erasmus+). Es wird auch vorgeschlagen, einen spezifischen "EU-Verteidigungsfonds" für eine gemeinsame Entwicklung und Einkauf von Militärausrüstung einzurichten, wobei die nationalen Beiträge zu diesem Fonds von den nationalen Defiziten nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ausgenommen werden könnten. Selbstverständlich kommen diese Überlegungen nicht aus dem Nichts, sondern entsprechen den Erwartungen und der Einflussnahme durch die Mitgliedstaaten und die Rüstungsindustrie. Diese neuen Fonds ersetzen also nicht nationale Ausgaben, sondern addieren sich zu diesen.
Das bedeutet, dass wir ZeugInnen eines grundlegenden Paradigmenwechsels im Europäischen Gemeinschaftsprojekt sind, der gerechtfertigt wird mit ihrem Beitrag zu Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum und der zu einer Stärkung der Rüstungsindustrie im internationalen Wettbewerb beitragen soll (auch in Bezug auf Rüstungsexporte). ENAAT lehnt diesen Ansatz grundsätzlich ab und ist der Ansicht, dass dieser Politikwechsel allein den kurzfristigen Interessen der Rüstungsindustrie dienen wird. Zudem wird er zu einer Ausweitung des globalen Waffenmarktes führen und damit zu einer Zunahme bewaffneter Konflikte.
Dies ist der Grund, warum wir die Kampagne "Keine EU-Geld für Waffen" gestartet haben. Indem wir diese neue Form der Subventionen für Waffenhändler ansprechen, wollen wir den Einfluss der Rüstungsindustrie auf die EU-Politik enthüllen und die Militarisierung des EU-Haushaltes stoppen.

vredesactie2…unter dem Einfluss der Rüstungsindustrie
Ja, dieser Wandel kommt nicht aus dem Nichts. Er ist das Ergebnis einer viele Jahre währenden diskreten Lobbyarbeit der Rüstungsindustrie, unterstützt durch einige nationale Regierungen.
Im Jahre 2015 gründete die EU-Kommissarin für Binnenmarkt und Industrie, Elżbieta Bieńkowska, ein Beratungsgremium "Gruppe von Persönlichkeiten", von denen mehr als die Hälfte RepräsentantInnen der Industrie sind. Ihre Aufgabe sei es, "der EU-Kommission dabei zu helfen" einen Fonds für Militärforschung zu "skizzieren". Mit anderen Worten: die Rüstungsindustrie soll die EU-Kommission darüber beraten, ob und wie die EU die Rüstungsindustrie subventionieren könne.

Dokumente des ENAAT und weitere interessante Links über die EU finden sich hier